Olsztyner Brot für die Russen

Mein Arm schmerzt und ich werfe einen Blick auf meine mit Mehl bestäubte Armbanduhr. Seit vier Minuten knete ich nun schon den Teig und die anderen Mitbewohner des Wohnheims beäugen mich argwöhnisch. „Ah, you German people are crazy about baking bread“, kommentiert einer der Inder und vielleicht hat er damit sogar Recht. Aber auch in Polen hat das Backen von Brot eine lange Tradition und rettete zudem in der Vergangenheit einmal die Stadt Olsztyn vor deren Zerstörung…

Wir schreiben das Jahr 1914

In der Nacht vom 26. auf den 27. August kommen die russischen Truppen unter dem Befehl von General Klujewa in Olsztyn an. Die Stadt wird zu einer Kaserne der Müden und Hungrigen, die schon weite Strecken zurückgelegt haben, stets in dem Bestreben, weitere Siege für das Zarenreich zu erringen. Schnell wird auf dem Marktplatz ein großes Militärlager errichtet, das sich weit in die engen Gassen hinein erstreckt. Die Stimmung ist angespannt, die Soldaten sind erschöpft und haben seit Tagen nichts gegessen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass General Klujewa Lebensmittel fordert, um Unruhen vorzubeugen und seine Leute zu besänftigen. Doch die Forderung der Russen zu erfüllen erscheint unmöglich. Denn wie sollte man innerhalb weniger Stunden 120 Tonnen Brot, 15 Tonnen Reis und Grütze, 6 Tonnen Zucker, 5 Tonnen Salz, 3 Tonnen Tee und 150 kg Pfeffer beschaffen?

Viele der Lebensmittelkeller sind bereits leer und es fehlt an helfenden Händen, da die Einwohner Olsztyn größtenteils bereits Tage zuvor verlassen haben. Doch die Zurückgebliebenen geben nicht auf, sie trommeln Jung und Alt zusammen und schaffen gemeinsam das Unmögliche: in einer Nacht backen sie annähernd 15.000 kg Brot und Kuchen. Und die russischen Soldaten? Zufrieden und die Bäuche gut gefüllt mit polnischem Brot zieht General Klujewas Korps am nächsten Tag weiter, während die Bewohner Olsztyns erleichtert aufatmen, da ihre Stadt unversehrt geblieben ist.

Heute ist diese dramatische Nacht größtenteils in Vergessenheit geraten, nur noch das Erkerfenster des Rathauses erinnert daran. Und selbst dieses ist nicht mehr in seinem Originalzustand anzutreffen, da die Russen 1945 die Stadt nicht mehr so pfleglich behandelten wie bei ihrem ersten Besuch. Die ersten Reliefs zeigten die damaligen Befehlshaber und den Abschuss eines russischen Fliegers, der angeblich befohlen hatte, die Stadt zu zerstören. Auch die Verhandlungen über das zu backende Brot und andere Nahrungsmittel waren einst dort abgebildet, wo heute nur noch Metallplatten das Erkerfenster des Rathauses schmücken.